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Tiefgründig, seriös, langweilig
Sind Firmen, die auf Blau setzen, erfolgreicher als ihre andersfarbigen Konkurrentinnen? Schon möglich. Zu viele biologische, psychologische und kulturelle Faktoren sind miteinander im Wechselspiel, als dass ihre Wirkungen eindeutig wären. Prognosen zur Farbkommunikation gleichen deshalb oft genug Vorhersagen ins Blaue – nicht anders als die Entwicklung der Aktienkurse an der Börse.

19 der 30 Unternehmen im aktuellen Deutschen Aktienindex verbindet nicht nur ihre wirtschaftliche Spitzenposition. Adidas, Allianz, BASF, Beiersdorf, BMW, Daimler, Deutsche Bank und Deutsche Börse, Fresenius und Fresenius Medical Care, K+S, Linde, Münchner Rückversicherung, ThyssenKrupp und Volkswagen liegen trotz aller Unterschiede auf einer Wellenlänge. Sie bevorzugen die Farbkombination Blau-Weiß in ihren Markenzeichen. Unternehmen, die in ihren Logogrammen Blau mit weiteren Buntfarben zeigen, sind Lufthansa, Infineon und Merck. Blau gewinnt.

Mehr als die Hälfte der im Dow Jones gelisteten Firmen zeigen ebenfalls Blau und Weiß im Markenzeichen. Die Kombination von Blau, Rot und Weiß ist in US-Unternehmen deutlich häufiger sichtbar als in Europa. Der Blick nach Asien stützt die Annahme, dass kultrelle Einflüsse die Farbvorlieben der Menschen prägen. Von den 50 Unternehmen im Nikkei-Index haben allein 15 rote Markenzeichen. Dennoch dominiert die Farbe Blau auch an der Börse in Tokyo: 19 Unternehmen vertrauen dort ihrer Wirkung.

Erfolgreich. Verlässlich. Autoritär.

Die Vorliebe der Kommunikationsabteilungen von Unternehmen für Farben der Wellenlängen zwischen 400 und 500 Nanometern entspricht der Farbvorliebe der Deutschen. Nach einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach haben knapp 40 Prozent der Befragten die Lieblingsfarbe Blau. Auf den Plätzen folgen abgeschlagen Rot mit 19, Grün mit 18, Schwarz mit 15 und Gelb mit 10 Prozent. Weniger als zwei Prozent können Blau nicht ausstehen. Erfolgreiche Marken brauchen eine klare und differenzierte Position. Die visuelle Komponente trägt dazu entscheidend bei. Das Corporate Design ist weit mehr als nur eine Farbe, ein Schriftzug und ein Bild-zeichen. Es verdichtet die Eigenschaften und das Leistungsspektrum einer Unternehmenspersönlichkeit zu einer unverwechselbaren, durchgängigen und flexiblen Erscheinung. Es schafft Transparenz und Vertrauen und steht für die Qualität des ganzen Unternehmens. Keine einfache Übung: Immerhin sind beim deutschen Patent- und Markenamt zurzeit knapp 780 000 nationale und internationale Marken registriert. Die mühelose Zuordnung zu einer bestimmten Farbe ist für eine Marke ein hohes Gut.

Denn Farben sind noch vor Zeichen und Sprache ein prägendes Kommunikationsinstrument. Sie lenken die Aufmerksamkeit, sie geben Signale und Hinweise, ordnen, warnen und sie sind Image- und Marketingfaktoren. Für den wichtigen ersten Eindruck sorgt die Farbe. Danach werden Formen und schließlich Texte erkannt und gedeutet. Farben lösen körperliche Reaktionen aus, psychologische und symbolische Inhalte sind in ihnen codiert. Farben sind also in erster Linie menschliche Empfindungen und nicht die messbare physikalische Realität elektromagnetischer Signale von bestimmter Wellenänge. Wie Farben wirken und welche Assoziationen sie erzeugen können, ist für die Unternehmenskommunikation wesentlich.

Blau, physiologisch. Der blaue Planet ist unser Zuhause. Blau macht ruhig und enstpannt. Der Mensch fühlt sich so sicher, dass sich seine Pulsfrequenz in blauen Räumen automatisch verringert. Diese Sicherheit macht kreativ. Eine Untersuchung der Universität von British Columbia in Vancouver von 2009 hat Bemerkenswertes zur körperlichen Wirkung von Farbe ans Licht gebracht. Die Versuchspersonen sollten in einem von sechs Tests Kinderspielzeug an einem Rechner mit blauem Bildschirmhintergrund entwerfen. Die Resultate waren deutlich besser als bei den Vergleichsgruppen mit rotem oder neutralem Bildschirmhintergrund. Dagegen waren die Ergebnisse bei rotem Hintergrund am besten, wenn es um konkrete detailorientierte Aufgaben ging, wie etwa das Korrigieren von Texten unter Zeitdruck. Fazit der Forscher: Rot macht aufmerksam, Blau schafft die besten Voraussetzungen für Einfallsreichtum und Innovation, unabhängig von den ästhetischen Vorlieben der Testteilnehmer.

Freundlich. Innovativ. Distanziert

Blau, archetypisch. Das Konzept der Archetypen, also ganzheitlichen Vorstellungen, die fest im Gedächtnis der Menschen eines Kulturkreises verankert sind, geht auf den Freud-Schüler Carl Gustav Jung zurück. Auf archetypisches Wissen greift das Individuum unbewusst zurück. Jung selbst hat allerdings nichts zu Farben gesagt.Dem Farbtheoretiker Frans Gerritsen zufolge ist Blau die Farbe für die Macht des Unendlichen, des Himmels, der Gedanken und der Meditation. Sie steht für Raum und Ewigkeit. Für den Psychologen Heinrich Frieling ist Blau rational und empfänglich für das Geistige.

Blau: assoziativ und symbolisch. Blau wird von den meisten Menschen mit dem Himmel, dem Wasser und dem Meer in Verbindung gebracht. In unserer Kultur steht Blau symbolisch für Treue, Männlichkeit und Autorität. Blau gilt aber auch als passiv und introvertiert, als sicher, beruhigend und friedlich. Zuordnungen, die sich anderer Sinneseindrücke bedienen sind: kalt und metallisch, nass und glatt, groß und schwer, stark und weit, leise und geruchsneutral. Daran geknüpft sind metaphorische Eigenschaften wie sympathisch, freundlich und harmonisch, sehnsuchtvoll und unendlich. Kunstkenner wissen, dass im Abendland während des Mittelalters und noch in der Renaissance Blau als warme Farbe galt. Blau war weiblich, sie war die Symbolfarbe der Gottesmutter Maria. Farbassoziationen ändern sich also mit den Epochen, der Kultur und den gesellschaftlichen Konventionen. Bei unseren Nachbarn in Dänemark steht Blau für Qualität, in Schweden jedoch für Leichtgläubigkeit, in Frankreich und Italien für Furcht, in Portugal gilt Blau als Zeichen der Eifersucht und für die Schwierigkeit, Probleme zu lösen. In Brasilien ist Blau Zeichen für Gleichgültigkeit, in China für Sorgfalt und Umsicht, in arabischen Ländern für Wahrheit, Vertrauen und Tugend.

Blau: emotional. Als Farbanmutung wird die ausschließlich gefühlsgesteuerte Bedeutungszuweisung bezeichnet. Ob cool oder gewöhnlich – so übrigens schon Goethes ethische Einschätzung von Blau –, schlicht, altmodisch oder schüchtern: Moden, individuelle und Gruppenvorlieben überlagern ständig die stabileren Bedeutungszuweisungen von Farben.

Sympathisch. Rational. Passiv

Verlässliche Erkenntisse, esoterische Behauptungen und modische Trends fließen bei der Beurteilung von Farbwirkungen oft genug ineinander. Die Farbe Blau hat verlässliche Stärken. Sie wirkt besonnen und ruhig, freundlich und seriös. Aber sie offenbart auch echte Schwächen: Kein Unternehmen möchte als langweilig oder gleichgültig, autoritär oder furchterregend gelten. Was tun? Notwendig ist zunächst eine gründliche Recherche gesicherter Erkenntnisse – und die Überprüfung der gestalterischen Entwürfe der Unternehmenskommunikation. Das lässt sich mithilfe so genannter semantischer Differenziale bewerkstelligen: Ein farbiger Entwurf wird von Probanden mit einer Reihe von gegensätzlichen Begriffspaaren bewertet. Etwa ‚verspielt-sachlich‘ oder ‚aufdringlich-zurückhaltend‘. Eine Testperson kann ihren Eindruck jeweils mit den Abstufungen: ‚sehr‘, ‚ziemlich‘, ‚etwas‘ und ‚teilweise‘ gewichten. Wenn die Polaritätsprofile, die sich so ergeben, in repräsentativer Auswahl vorliegen, lassen sich verlässliche Aussagen zur Wirksamkeit des Entwurfs machen.

Für richtige Farbentscheidungen in der Unternehmenskommunikation gibt es keine allgemein gültigen Rezepte. Die Statistik spricht zunächst für Blau. Wirkliche komplexe Wechselwirkungen entstehen bei Farbkombinationen, beim Einsatz von farbigen Bildsprachen und Zeichensystemen, bei Anwendungen in Architektur und Umwelt und ganz besonders in unterschiedlichen Medien.

Welcher Blauton steht für das Unternehmen? Ist Blau Grund- oder Akzentfarbe des Unternehmens? Soll Blau für das gesamte Unternehmen oder für Produktmarken eingesetzt werden? Welche Farbkombinationen sind mit Blau zugelassen? Welche Formen sollen sich typischerweise mit Blau verbinden? In welchen Kontexten wird die Farbe wahrgenommen? Welche technischen Farbsysteme können die Durchgängigkeit eines Farbtons garantieren? Wie passen die Textbotschaften zur Farbe Blau?

Blau kann Verlässlichkeit, Innovationskraft und Erfolg einer Unternehmenspersönlichkeit transportieren. Gute visuelle Kommunikation muss allerdings der größten Gefahr, die in dieser Farbe lauert, ausweichen: der charakterlosen Beliebigkeit. Dann gewinnt Blau.

Ulrich Schendzielorz



Sie finden diesen Artikel in voller Länge im Sedus-Magazin ‚place 2.5‘.

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