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Orient-Express
Der schnellste Weg in den Orient führt nach Andalusien. Im äußersten Süden Spaniens zeugen Städte wie Granada, Córdoba oder Sevilla vom Kulturreichtum der Mauren aus Afrika.
Das Plätschern des Brunnens und ein Urwald aus Topfpflanzen, die sich an den Wänden des gekachelten Innenhofs bis zum Himmelsviereck emporranken, verführen mit magischer Macht zum Verweilen. „Síganme, por favor", sagt die Pensionswirten und bittet ihre Gäste ihr zu folgen. Das ruhige Zimmer hat weiß gekalkte Wände, einen Fußboden aus Naturstein und einfache, fast schwarze Holzmöbel. Willkommen in Córdoba.
Schon vor Jahrhunderten lockte Spaniens Südküste Gäste und Besucher an. Römer. Vandalen und Westgoten stritten zunächst um die Vorherrschaft auf diesem Flecken fruchtbarer Erde, wo heute Europas größte Orangenplantagen stehen.
711 landeten die arabischen Mauren auf der Iberischen Halbinsel, vertrieben die Germanenhorden und blieben 700 Jahre. „Al Andalus", Land der Vandalen nannten die islamischen Herren den Süden Spaniens. Die Entwicklungshelfer aus Afrika schufen blühende Landschaften: Sie importierten Zitrusfrüchte, Aprikosen, Zuckerrohr und Baumwolle, verstanden sich auf effektive Düngung und Bewässerung.
Die Araber brachten den Andalusiern Flöten- und Paukentöne bei und setzten ihre Gegner auf dem karierten Holzbrett schachmatt. Mit ihren Bibliotheken kamen Mathematik und griechische Philosophie in den Norden, und bald strahlte ihre tolerante Kalifenmetropole Córdoba hell im christlich-düsteren Europa.
Córdoba liegt im Norden Anadalusiens am Ufer des Guadalquivir und ist heute eine schläfrige Provinzstadt. Dass hier einst eine bedeutende Großstadt war, darauf deutet die ehemalige Moschee, die zwischen 785 und 990 ständig ausgebaut und vergrößert wurde. Heute tragen 793 steinerne Säulen, von rotweiß gestreiften Bögen überspannt, die Hallen der Moschee und schaffen eine fast schwerelose Traumlandschaft. Mit jedem Schritt wechseln die Perspektiven: Säulen ordnen sich zu immer neuen Mustern, kein Gewölbe gleicht dem anderen. Das Zentrum der Anlage bildet heute eine hoch aufragende Kathedrale. Die christlichen Reconquistadores, die Rückeroberer Andalusiens, hatten sie zu Beginn des 16. Jahrhunderts mitten im moslemischen Gebethaus errichtet.
Vorbei an silberglänzenden Baumwollfeldern und sattgrünen Orangenhainen folgt die C 431 dem Lauf des Guadalquivir
nach Südwesten. Leise knurrend rollt der dieselgetriebende Opel Frontera von der Metropole der Vergangenheit in die 700 000 Einwohner zählende Hauptstadt der Gegenwart – Sevilla. Ein Strom von Autos zwängt sich durch die Einfallstraßen der Stadt. Roller und Mopeds umschwirren wie ein Schwarm Moskitos den Gelände-Opel, der im Labyrinth der Altstadt feststeckt.
Die engagiert vorgetragenen Wegbeschreibungen der Einheimischen erweisen sich als untauglich. Mithilfe des Stadtplans erreicht der Frontera endlich die Tiefgarage des Hotels Venecia an der Calle Trajano, den rettenden Hafen im Verkehrssturm von Sevilla.
Ein kleiner Imbiss mit Churros – Schmalzkringel mit Schokoladensauce, dazu heißer Milchkaffee – verdrängen den Anfahrtsstress. Ein Übriges bewirkt ein Spaziergang über die Plaza de San Francisco im stetigen Strom der Sevillanos – darunter auch drei Männer in gut geschnittenen dunklen Anzügen. Allein der Stehkragen weist sie als Priester aus. Darauf angesprochen, dass derart schicke Priester in Deutschland selten seien antwortet einer von ihnen: „Wir Kirchenmänner gehören hier so selbstverständlich zum Alltag, wie die Churros zum Frühstück. Frömmigkeit und selbstbewusstes Auftreten sind keine Gegensätze".
Für Pferdenarren und Weinliebhaber bietet die zehn Kilometer landeinwärts gelegene Stadt Jerez de la Frontera gute Gründe, Station zu machen. Die Königliche Hofreitschule zeigt Besuchern jeden Donnerstag Dressur-Kunststücke ihrer Pferde, eine von den Arabern übernommene Tradition.
Von ganz eigenem Charakter ist der Wein, der hier gedeiht. Einzig auf den kalkig weißen Böden zwischen Sanlúcar, El Puerto und Jerez wächst der weltberühmte Sherry. Das trockene Klima, die salzigen Seewinde und das Knowhow der Winzer machen aus der Palomino-Traube das unnachahmliche Getränk. Das Wort Jerez kam einst britischen Genießern
so holprig von den Lippen, dass sie dem Wein den süffigeren Namen Sherry gaben. In Bodegas, großen Hallen, die das Bild von Jeres prägen, reift der Rebensaft in dicken Eichenfässern. Jahrgangsweine gibt es nicht; Sherry ist ein Mix aus jungen und alten Weinen. Ob Byass, Domecq, Sandemann oder Osborne – alle großen Unternehmen bieten Führungen durch ihre Bodegas an, Kostprobe inklusive.
Eine Kostprobe austauschbarer Ferienarchitektur bietet die Costa del Sol zwischen Marbella und Málaga. Sie schockiert mit in Beton gegossenen Monumenten des Bräunungswahns; Hotels und Appartementhäuser
stehen dicht an dicht. Manchmal wird der Wall aus Hochhaustürmen von schmucken Golfplätzen durchbrochen und gibt den Blick frei auf das „mar bella" das schöne Meer.
Weiter nach Granda. Schon der Name zergeht auf der Zunge wie eine arabische Süßspeise, wenngleich Freund der Marke Ford wohl eher an V6-Motoren und Ghia-Plüsch denken. Hier in Granada ist die Reconquista noch immer lebendig: Sechs Millionen „Ungläubige" stürmen jährlich die Burganlage des Nasriden-Palasts auf dem Alhambra-Hügel. Nur wer am frühen Morgen hier eintrifft, kann in himmlischer Ruhe erleben, wie das Licht durch die geschnitzen Fensterblenden straht und Lichtkleckse auf den Boden malt. Die dekorierten Gewölbedecken erinnern an Tropfsteinhöhlen; in den Höfen tanzen mit hellem Plätschern die Wassersäulen unzähliger Brunnen.
Für Boabdil, den glücklosen Sultan von Granada war das Märchen 1942 zu Ende. Er musste sich den christlichen Belagerern beugen und überließ die letzte maurische Bastion in Spanien kampflos seinen Feinden. Als er auf seiner Flucht in die Berge ncoh einmal die Alhambra sah – so die Legende – soll er bittere Tränen vergossen haben.
Ulrich Schendzielorz
Sie
finden diesen Artikel in der Zeitschrift ‚auto motor und sport‘ und in der Reihe ‚Extratouren – Spanien und Portugal‘ des Motorbuch Verlags.
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