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Elephantine (Ägypten), 2007
Elephantine (Ägypten), 2007
Elephantine (Ägypten), 2007
Die Wacht am Nil
Stromschnellen und unwegsames Gelände bildeten einst die natürliche Südgrenze Altägyptens. Um sie zusätzlich zu sichern, ließen die Pharaonen auf der Insel Elephantine eine Festung bauen. Heute erforschen dort Archäologen Alltag und Religion des antiken Reichs.

Abermillionen Sterne spiegeln sich in den schwarzen Wassern rund um die Nilinsel Elephantine. Die Segel der Felukken, die dicht an dicht an den Kais liegen, heben sich weiß gegen den Nachthimmel ab. Doch ein Streifen Morgenrot über der Wüste kündigt den neuen Tag bereits an. Am nahen Ufer erwacht allmählich die Stadt Assuan. An der Grenze zwischen Tag und Nacht schimmert die Wüste im Zwielicht. Jetzt, um sechs Uhr morgens, scheint die Luft noch klar und kühl Die Ägyptologen Beatrice und Cornelius von Pilgrim, er ist Direktor des Schweizerischen Instituts für Ägyptische Bauforschung und Altertumskunde, lieben diese Zeit. Sie machen sich auf den Weg vom Grabunglager zu ihrem Arbeitsplatz im Südosten der Insel. Zwei Pfeiler auf einer Erhebung weisen die Richtung.

‚Chnum‘, bedeutet mir Pilgrim mit einem Wort. Dort oben stand einst der Tempel des widderköpfigen Unsterblichen. Verkörperung von Schöpferkraft, Herr der Nilfluten. Doch nicht die Wohnstätte des Gottes ist unser Ziel, sondern die benachbarte Siedlung. „Wie die Götter und die Pharaonen wohnten, wissen wir heute sehr genau“, sagt Pilgrim, „doch wie bettete sich das Volk? Wie sahen die Häuser aus?“ Die Insel verspricht Antworten auf diese Fragen, denn auf ihrer begrenzten Fläche – das Eiland ist etwa 1.2 Kilometer lang und misst an der breitesten Stelle gerade mal 400 Meter – entstand ein Ägypten im Kleinformat.

Ein Riegel aus Granit

Vor fünftausend Jahren eroberte der Oberlauf des Nils regierende König Narmer die Reiche des Deltas und vereinte so Ober- und Unterägypten. Die frühdynastische Zeit begann und bald richtete sich das Augenmerk der ersten Pharaonen auch auf Elephantine. Die Insel lag im 1. Nilkatarakt, einem kaum schiffbaren Flussabschnitt mit Stromschnellen, Wasserfällen und scharfkantigen Felsen, der die Grenze des jungen Reichs zu seinem südlichen Nachbarn Nubien markierte. Der Nil hatte sich dort – wie schon fünfmal zuvor in seinem Mittellauf – durch einen Riegel aus Granit gebissen und ein Flussarchipel mit Rinnen und Inseln geschaffen. Elephantine war eine davon.

Oder besser: zwei, die 2000 v. Chr. zu einer zusammenwuchsen. Auf der östlichen ließen die Herrscher eine Festung errichten, mit dicken Mauern aus Lehmziegeln. Aus dem gleichen Baumaterial entstanden auch die Behausungen der Grenzer und ihrer Familien. Bald platzte die erste Siedlung aus allen Nähten, und so musste eine der Festungsmauern wieder eingerissen werden, um Platz für Wohnhäuser zu schaffen, wie Archäologen inzwischen herausgefunden haben.

Falls je ein Garnisonskommandant mit dem Rosengranit der Gegend geliebäugelt hätte, er hätte ihn sich nicht für sein Haus leisten können. Der attraktive Stein, der tatsächlich rote Blüten auf grauem Grund aufweist, war allein für die Herrscher reserviert. Eine granitene Stufenpyramide signalisierte die Macht der 3. Dynastie (2707 – 2639 v. Chr.) auf Elephantine, die Pharaonen der 4. Dynastie (etwa 2639 – 2504 v. Chr.) ließen Rosengranit im großen Stil nahe dem heutigen Assuan abbauen und zur Hauptstadt Memphis verschiffen. Insbesondere verkleideten Platten daraus in untersten Blockreihen der schon in der Antike berühmten Grabpyramiden von Giseh.

Ohne Tempel wäre den alten Ägyptern ihre Granisonsstadt sicher unvollkommen erschienen – was waren Menschen schon ohne den Schutz der Götter? Zunächst erbaute man der Götten Satis ein Heiligtum. Als Herrin über die Stromschnellen und Schützerin der Südgrenze war sie eine lokale Größe, avancierte aber im Lauf der Jahrhunderte in ganz Ägypten zur Gebieterin des Leben spendenden Nilhochwassers. Ihr erster Tempel bestand aus vergänglichen Lehmziegeln. Pepi I. (etwa 2355 – 2285 v. Chr.), ein früher Pharao der 6. Dynastie, stiftete ihr später einen steinernen Schrein. Zu dieser Zeit erschien auch Chnum, der Widdergott, zum ersten Mal in Elephantine. Im Satis-Tempel erhielt er eine "Herrgottswinkel". Die beiden Unsterblichen verband so allerlei. Nicht nur überschnitten sich ihre Kompetenzen, auch äußerlich hatten sie manches gemein: Chnum trug das Gehörn des Widders, Satis das einer Gazelle. Und so bandelten sie denn miteinander an und Satis wurde Chnums Gemahlin. Das glückliche Paar bekam eine Tochter, Anukis, die Elephantines Götterwelt vervollkommnete: Sie war dafür zuständig, dass die alljährlichen Hochwasser auch wieder abflossen.

Immer ein Anlass zum Feiern.

Das Ehepaar Pilgrim führt mich zur einstigen Prachtstraße Elephantines. Im Alten Reich (2707 – 2170 v. Chr.) floss dort noch der Nil und trennte Ost- und Westinsel. Schließllich hatte er so viel Schlamm und Geröll abgelagert, dass Arbeiter die verbliebene Rinne mit Schutt und Lehm auffüllen und befestigen konnten. Auf dieser Grundlage legten sie eine Prozessionsstraße an, deren Pracht im ganzen Reich berühmt war. Bedarf gab es genug, denn am Nil fand sich immer ein Anlass für einen prachtvollen Umzug, ob es galt, die Zeit der Überschwemmung zu feiern, die der Aussaat oder der Ernte, von der Festen zu Ehren diverser Götter ganz abgesehen. Die Straße trennte von nun an einen Tempel- und Verwaltungsbezirk auf der Ostinsel vom Wohngebiet auf dem Westteil.

Auch im Mittleren Reich (2119 –1793/94 v. Chr.) dem Hauptforschungsgebiet meiner beiden Führer durch Elephantines Geschichte, war Lehm der Baustoff schlechthin, doch den Archäologen fällt eine Veränderung auf. Die Gebäude erscheinen ein wenig größer und deutlicher gegliedert. Mal gruppierten sich verschiedene Räume um einen Hof herum, mal reihten sie sich zum "Dreistreifenhaus" aneinander.

Willkommen bei Familie Monthuser!

„Treten Sie ein“, bittet Pilgrim. „Dies war vielleicht das Heim des Herrn Monthuser. Möglicherweise betreten wir auch das Haus von Familie Sobekemzaf, denn so ganz genau lassen sich die Besitzverhältnisse in jener Zeit doch nicht mehr rekonstruieren“. Er verweist auf ein Loch in der Eingangsschwelle, in dem einst die Tür verankert war. Weil es in diesen Breiten kaum regnete, haben sich die Ziegelmauern noch über einen Meter hoch erhalten. Und so vermittelten sie eine Ahnung, wie es war, wenn Herr und Frau Monthuser Besuch bekamen: Durch eine schmalen Korridor schritt der Gast geradewegs auf einen Backofen zu, wurde aber kurz vorher durch einen Durchlass zur Linken in einen großen Säulensaal geleitet. Dort wohnte die Familie, die Familie, dort schlief sie auf Matten und fanden alle Arbeiten statt. In den heißen Sommermonaten verlegte die Familie ihr Schlafgemach auf das flache Dach.

Und in diesem Saal empfingen Monthusers vor etwa 4000 Jahren auch ihren Besuch. Die Hausherrin bat den Gast, auf dem feingestampften Lehmboden Platz zu nehmen, dann wurden ihm Bier, Stangenbrot und Datteln gereicht. Brach die Nacht herein, zündete ihr Mann Lampen an, die zu jener Zeit Olivenöl verbrannten, im Alten Reich noch Rizinusöl. Ein solch stattliches Anwesen konnte sich nicht jeder auf Elephantine leisten, der Hausbesitzer gehörte offenbar zu den ‚oberen Fünfzig‘. Andere Angehörige der Elite, so berichtet Pilgrim, gönnten sich zudem einen hellen Innenputz aus Kalk, einer sogar einen farbig bemalten.

Einen Hinweis auf den Alltag der Garnison liefert ein kleines Detail der Häuser: Ihre Ecken earen abgerundet. Das Team von Cornelius von Pilgrim vermutet, dass man so mit Wasserbehältern beladenen Eseln den Weg durch die engen Gassen erleichtern wollte. Offenbar verfügten viele Innenhöfe über Waschmöglichkeiten, eines der bislang ausgegrabenen Gebäude hatte sogar ein richtiges Badezimmer.

NIcht nur die Häuser der Menschen, sondern auch die Heimstatt der Göttin Satis wurde luxuriöser. Zunächst erhielt ihr Ziegelbau eine Verstärkung aus Holz, dann ließ Pharao Mentuhotep II. (etwa 2046 – 1955 v. Chr.) einen steinernen Tempel errichten, der unter Sesostris I. (1956 – 1922 v. Chr.) noch einmal neu gebaut wurde. Letzterer war es auch, der Chnum das erste eigene Heiligtum stiftete, größer als alle anderen und auf dem höchsten Punkt Elephantines.

Mit dem Baustoff Lehm hat es eine besondere Bewandtnis, ob in den alten Städten Mesopotamiens oder Ägyptens: Erfüllt ein Haus nicht mehr seinen Zweck, ist es rasch abgerissen, und auf seinem Schutt wird das nächste gebaut. Auf diese Weise wuchsen Siedlungen allmählich zu Siedlungshügeln heran. So auch die auf Elephantine. Von Süden betrachtet wirkt die Garnisonsstadt wie abgeschnitten. Denn dort waren in der Neuzeit ‚Recyclingspezialisten‘ am Werk. Der antike Schutt wurde abgegraben, mit viel Wasser versetzt, um den Lehm aufzuweichen, anschließend geknetet und dann erneut zu Ziegeln geformt und in der Sonne getrocknet. (...
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Dr. Waltraud Sperlich



Sie finden diesen Artikel von Waltraud Sperlich und Ulrich Schendzielorz in voller Länge in der Zeitschrift ‚bild der wissenschaft‘.

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Assuan (Ägypten), 2007
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