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Vom Gegenstand zur Geste
Folgeband eines Klassikers: 1977 veröffentlichte Otl Aicher „Zeichensysteme der visuellen Kommunikation“; sein damaliger Ko-Autor Martin Krampen hat nun ein überarbeitetes und auf Piktogramme beschränktes Überblickswerk vorgestellt.
Notausgang, Flughafen, Rauchverbot. Piktogramme bereichern unsere Alltagserfahrung. Sie zeigen Gegenstände der sichtbaren Welt. Sie empfehlen, untersagen, informieren. Sie tun dies schnell und im besten Fall unmissverständlich. Piktogramme sind deshalb als Transportvehikel kultureller Eigenheiten ebenso ungeeignet wie das M von McDonalds als Hinweis auf kulinarische Vielfalt. Aber genau das ist ihre Stärke: Piktogramme sorgen für Verständigung über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg.
1977 war „Zeichensysteme der visuellen Kommunikation“ von Martin Krampen und Otl Aicher erschienen. Dort wurden logisch kodierte visuelle Zeichensysteme im Überblick vorgestellt: von den Steinmetzzeichen über Notensysteme bis zu Symbolen aus der Mess-und Regeltechnik. Der Folgeband, den Krampen mit seinen beiden Ko-Autoren jetzt vorlegt, konzentriert sich ausschließlich auf Piktogramme. Und darauf, was sie leisten können, wenn die zeitliche Dimension ins Spiel kommt. Als Beispiel taugen hier Ross und Reiter: Sie schreiten, traben, galoppieren, wenn sie zu Bildsequenzen organisiert sind. Der Blick aufs Objekt verschwindet dann zu Gunsten der Bewegung. Technische Beschränkungen verhindern den gestalterischen Einsatz animierter Piktogramme längst nicht mehr.
„Die Welt der Zeichen“ ist in erster Linie Handbuch für Gestalter und Architekten. Zwei Drittel des Buches sind der Ordnung von mehr als tausend Bildsymbolen nach deren Bedeutungsnähe gewidmet. Ästhetische und theoretische Fragen stehen nicht im Mittelpunkt. Die Auswahl versammelt vor allem Piktogramme aus Otto Neuraths „Basic by Isotype“ (1934) , Rudolf Modleys „Handbook of Pictorial Symbols“ (1976) und die der Firma Erco. Sie besitzt die Rechte an Otl Aichers Piktogrammen und hat nach seinen Vorgaben weitere Bildzeichen entwickelt. Das alphabetische Register – es reicht von Abbrauchhaus bis Zwiebel – öffnet den direkten Zugang zu den Abbildungen. Umgekehrt lässt sich jedes gezeigte Piktogramm mühelos seiner Quelle zuordnen. Das Piktogramm „Krodokodile nicht ärgern“, wie auch alle anderen im Abschnitt Kurisosa gezeigten Darstellungen, kann der Leser nicht übers Register lokalisieren, da hilft nur Blättern und Schmunzeln.
Das Hardcover-Buch ist durchgängig schwarzweiß gedruckt und von hoher Ausstattungsqualität. Der Gestaltungspraktiker hätte sich gewünscht, dass die Autoren auch auf Farbwirkung, Detailierungsgrad und Kontextbezug von Piktogrammen eingehen. Das ist – offen gestanden – ein etwas unfairer Wunsch an dieses unverzichtbare Nachschlagewerk. Berechtigt ist dagegen der Wunsch nach mehr Filmbeispielen auf der mitgelieferten CD-ROM. Das prächtige Riesenplakat im Format DIN A0 tröstet da nicht restlos.
Die Autoren verweisen darauf, dass solche ikonischen Zeichen im öffentlichen Raum verstärkt präsent sind: in Bahnhöfen, Flughäfen, Kongresszentren, Sportstadien, Unternehmen. Indiz dafür, dass die Verständigung mit unterschiedlichen Nationalsprachen den weltweiten wirtschaftlichen Verflechtungen nicht genügt. Sicher ist, dass es diese simplen grafischen Zeichen niemals mit den komplexen Ausdrucksmöglichkeiten der Schriftsprache aufnehmen können, denn dazu reichen weder Repertoire noch Verknüpfungmöglichkeiten aus. Ein grafisches Esperanto bleibt ein Ding der Unmöglichkeit. Was aber Piktogramme tatsächlich leisten können, zeigt „Die Welt der Zeichen“ systematisch und überzeugend.
Ulrich Schendzielorz
Sie
finden diese Rezension in der Zeitschrift ‚design report‘.
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Die Welt der Zeichen