schönerdenken
journalismus visuell
› zurück

Dominikanische Republik – Nissan Pickup
Dominikanische Republik – Zigarrendreherin
Dominikanische Republik – Supermarkt
Busch mit sieben Siegeln
Verkehrsanarchie und Benzin in Flaschen, reiche Tabakfürsten und arme Bauern. Eine Flucht aus der Postkartenidylle der Traumstrände ins wahre Leben von Dom-Rep, der Dominikanischen Republik im Nissan Pickup Twin Cab.

José Gomez hat keine Taxilizenz. Sein japanischer Youngtimer stirbt einen langsamen Tod, aber er rollt noch. Das Gnadenbrot ist schwer verdient: Für die zwölf Kilometer von der Avenida Washington zum Büro der National-Autovermietung am Stadtrand von Santo Domingo kassiert José drei Dollar – wenig für Touristen, viel in der Dominikanischen Republik.

Für drei Dollar bekommt man etwas geboten: Stopschilder, rote Ampeln, Geschwindigkeitsbeschränkungen gelten auf Dom-Rep, wie das Eiland unter Touristen heißt, nicht viel. Die Hupe verschafft dem Wrack genügend Aufmerksamkeit, um die nächste Einbahnstraße kollisionsfrei entgegen der Fahrtrichtung zu durchqueren. Der Verkehr folgt gewissen Verdrängungsregeln, die jeder kennt und akzeptiert. Als habe die Fahrt die letzten Reserven gefordert, bricht die Beifahrertür beim Aussteigen aus den Angeln.

Die Idee, im Mietwagen die Insel jenseits aller All-inclusive-Clubs kennenzulernen, bekommt nach diesem Lehrstück eine zusätzliche Dimension von Abenteuer. „Das schönste Stück Land unter dem Himmelszelt", schwärmte Christoph Kolumbus 1492, wobei der die Insel für Westindien hielt. Stolz berichtete er seine Entdeckung an die königlichen Auftraggeber Isabella und Ferndinand von Spanien. „La Hispaniola", kleines Spanien, sollte sie fortan heißen.

In seinem Bordbuch beschreibt Kolumbus hohe Berge, fruchtbare Täler und die Eingeborenen Taínos, die noch immer „ohne Zweifel gutmütig und sanft" sind. Für den All-inclusive-Entdecker von heute ist die Dominikanische Republik das Land, wo Pina Colada und Daiquiri fließen. Dazu weite Strände, schöner, als es Bacardi-Werbespots ahnen lassen. Unter den Füßen liegt grellweißer Korallensand, Kokospalmen reichen bis ans Wasser. Das Meer leuchtet wie der Larimar, ein türkisblauer einheimischer Halbedelstein.

Mit Glück und Hupe findet der weiße Wagen die Autobahn, die aus Santo Domingo nach Westen hinausführt und sich jenseits von San Cristóbal in eine Landstraße verwandelt. In der Reihe der Kleinlaster, von denen viele vom Gewicht ihrer Obst- und Gemüselast in die Knie gehen, ist der Nissan Teil einer Karawane auf dem Weg nach Baní.

Die Hauptstraße endet abrupt in unzähligen Marktständen. Kleider, Schuhe, Töpfe, Geschirr, Besen und lebende Hühner stehen zum Verkauf. Daneben Gurken, Mangos, Ananas, Maniok, Reis und Berge von grünen Gemüsebananen – Platanós, die aus der dominikanischen Küche nicht wegzudenken sind.

Gelassen stehen die Geschäftemacher im Zentrum dieses Orkans aus Gedränge und Lärm. Die meisten sind Mulatos, Nachfahren spanischer Konquistadoren und der von ihnen in die Karibik verschleppten afrikanischen Sklaven.

Bei Las Carreras führt die Carretera 41 durch die südlichen Ausläufer der Cordillera Central Richtung San José de Ocoa. Die asphaltierte Straße kurvt am Sabana-Buey-Stausee vorbei, durch sanfte, mit Kaffee bepflanzte Hügel – im Radio läuft dazu der Merengue-Hit „Quisiera" von Juan Luis Guerra. Bei den bunten Holzhäusern von San José zerfällt die Straße schließlich zur Schotterpiste, die – mit ein paar mächtigen Schlaglöchern garniert – einen Vorgeschmack auf die nächsten 70 Kilometer gibt.

Inmitten der grünen Einsamkeit, das im Reduktionsgetriebe durchkämmt wird, streckt Juan Mota den Daumen aus. Sein Moped ist kaputt, erklärt er in Zeichensprache. Sie ist der größte gemeinsame Sprachnenner für Fahrer und Anhalter, weshalb die Unterhaltung zur amüsanten Scharade gerät.

Der Lohn der Fahrt ist ein kaltes „Presidente"-Bier für den Chauffeur. Man sitzt auf Plastikstühlen im Schatten des Colmado, der Krämerladen und Dorfkneipe in einem ist. Die zehn Quadratmeter große Hütte bietet frisches Obst, getrocknete Bohnen, Wäscheklammern, Seife, Rasierklingen, Präservative und andere Dinge, die man halt so brauchen kann.

Tankstellen gibt es hier nicht. Wer nicht mehr genug Sprit hat, kann Benzin und Diesel in Plastikflaschen zu horrenden Preisen am Wegesrand kaufen. Für die wenigen Bewohner der Region ist es die Hoffnung auf ein Geschäft.

Am östlichen Ende des fruchtbaren Cibao-Tals glänzt Santiago des los Caballeros mit den Lichtern einer Großstadt gelborange am Horizont. Tabak und Zuckerrohr, also Zigarren und Rum, haben sie zu dem gemacht, was sie ist. In einer Freihandelszone steht Manuel Quesadas Tabakmanufaktur Matasa. Der Chef ist um die Fünfzig, blickt mit wachen Augen durch eine Nickelbrille und raucht unterm grau melierten Schnauzer eine Zigarre mit der Banderole „Hommage 1492". Jeder seiner Mitarbeiter rollt pro Tag bis zu 150 Premiumzigarren von Hand, und der polyglotte Exil-Kubaner mit dominikanischem, kubanischem, US-amerikanischem und spanischem Pass vertreibt sie – aller Raucherfeindlichkeit zum Trotz – vor allem in die USA.

Die Gewinne wandern in das andere Santiago, das sich hinter hohen Mauern im Osten bedeckt hält: Gepflegte Gärten und private Wachdienste künden von Reichtum. Hier führt eine schmale Straße zu einer privaten Ausstellung automobiler Kuriositäten. „Erster und größter aller dominikanischen Staatschefs", „Wohltäter des Vaterlandes" und „Beschützer aller Arbeiter" lauten die Titel des einstigen Staatsoberhaupts Trujillo, dessen Dienstfahrzeuge der Autonarr José Bermúdez sammelt. Hier ein schwarzer Cadillac Fleetwood, Baujahr 1956, daneben das Vorläufermodell von 1950.

Der gelb lackierte 57er Cadillac, der im improvisierten Austellungsraum gerade noch Platz gefunden hat, gehörte Josés Sohn Ramfis. Autos machen Leute, heißt das vorgelebte Prinzip, das in allen Klassen funktioniert. José Gomez hat es immerhin zum Taxifahrer gemacht.

Ulrich Schendzielorz



Sie finden diesen Artikel in der Zeitschrift ‚auto motor und sport‘ und in ‚Auto Wereld‘, Belgien.

› zurück
Startseite         Produktionen         Aktuelles         Kontakt         Impressum
Bezeichnung 7
Bezeichnung 8
Bezeichnung 10
Bezeichnung 11
Bezeichnung 12
Bezeichnung 13
Bezeichnung 14
Bezeichnung 15
Bezeichnung 16
Bezeichnung 17
Bezeichnung 18
Bezeichnung 19
Dominikanische Republik
Dominikanische Republik – Kokospalmen
Dominikanische Republik – San Cristóbal
Dominikanische Republik – Bad im Meer