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Zuflucht am Schwarzen Berg
Karatepe – die letzte Bastion der Hethiter. Das vorderasiatische Großreich „Hatti" existierte seit 400 Jahren nicht mehr, da blühte in Südanatolien um 800 v. Chr. ein lletztes Hethiter-Königtum. Eine heute 81-jährige türkische Archäologin grub die Grenzfestung aus – wir bringen die ersten Bilder.
Wintergewitterwolken jagen über den Himmel und treiben die Dämmerung voran. Hienieden hetzen die Wölfe durch die schwarzen Wälder, und ihr Geheul scheucht späte Wanderer heim in die Weile. Still steht im Jahr 1946 das einzige Zeichen von Fortschritt in dieser Allah-verlassenen Ecke Kleinasiens, wo die Mittelmeerküste nach Süden abknickt: Ein Lastwagen hat schlapp gemacht auf der Karawanenstraße. Die Gelehrten auf der Ladefläche atmen auf, werden sie doch dank des Halts wieder Herr ihres Bewegungsapparts. Um der Wissenschaft willen schlingerten und schlotterten sie acht Stunden, denn Ziel der Reise und der Wünsche sind Felsreliefs aus uralten Zeiten.
Kurz vor dem letzten Krieg wurden in Zentralanatolien die archälogischen Zeugnisse der Hethiter ausgegraben. Das in der Bibel erwähnte aber ansonsten „verschwundene“ Volk avancierte rasch zur Hätschel-Hochkultur der Archäologen – wegen seiner Herkunft (indogermanisch) und seiner großartigen Hauptstadt Hattusa. Der deutsche Keilschriftexperte Helmuth Bossert, jetzt Lenker der halsbrecherischen Querbergein-Fahrt, ist versessen auf alle Lebenszeichen des einst mächtigen Hethiterreichs „Hatti“ und fährt deshalb jedem Hinweis in die Bronzezeit nach.
Mit von der Rüttelpartie ist Halet Cambel, die Bossert nach langem Werben als Assistentin gewinnen konnte. Im Hinterland ihres Vaterlands fühlt sich die Türkin fast fremder als der Pfälzer, orientierte sie sich doch von klein auf am europäischen Westen. An der Spree 1916 als Enkelin des osmanischen Botschafters geboren, verbrachte sie ihre Kindheit in Bern, Wien und Südtirol. Am Bosporus besuchte sie das amerikanische College und studierte in Paris an der Sorbonne.
Als der Dieselesel vorn nunmehr 51 Jahren in der anatolischen Wüstenein nicht mehr laufen mochte, mussten sie und Bossert zur nächsten Ansiedlung gehen – bestimmt die Frau der Tat. Ein alptraumhafter Beschluss: Mit einem Hagelschlag bricht die Nacht herein, der Forschertrupp – Museumsdirektoren und Topografen – kriecht in einem verfallenen Haus unter. Die aufrechten Zwei waten weiter des Wegs. Im Eissturm sind sie bald halb erfroren, und das Wolfsgeheul lässt das Blut in den Adern erstarren. Schließlich geben Lichter Hoffnung, doch davor tobt ein Bach, den die Dauerschauer zum Wildwasser hochpeitschen. Die beiden Forscher schreien sich heiser, bis die Hirten sie hören. Dank Ketten packt ein Trecker gerade noch die Furt und holt Bossert und Halet Cambel über zu den Wärmeflaschen mit Anisschnaps.
Wegen der Sintfluten sitzen sie eine Woche im Nomadennest fest, schauen und hören sich emsig um. Die gesuchte Kunst am Fels erweist sich dabei als Skulptur der Natur und nicht von Hethitern geschaffen. Die Enttäuschung wird weggewischt durch das Hirtengetuschel, ganz in der Nähe gäbe es massenhaft „Aslantas“ – Löwensteine, im Reich Hatti die Hüter der Herrscherbastionen. Ins Auge gesprungen sind sie einem der Weidenpendler neben der Karawanenstraße „Weißer Weg“, wo sie den „Schwarzen Berg“ passiert – der „Karatepe“ wird zum Symbol der neuen Forschersehnsüchte. Zu Pferde drängen sie sich von der Kreisstadt Kadirli aus tief in den Busch, der sie am dichten Ende ruppig aus den Sätteln peitscht. Mit Messern müssen sie die Macchia teilen. Plötzlich stehen sie im Holzgefilz der ersten Raubkatze gegenüber – der Lianenüberzug kann ihre Herkunft nicht verschleiern: Die steinerne Bestie stammt aus hethitischem Gehege.
Aus dem Rankenkäfig befreien die Altertumsforscher eine ganze Menagerie – da tanzt sogar ein Bär auf den hingewürfelten Reliefs.
Grün überwuchert, tauchen zudem Schriften auf, was Bosserts Herz höher schlagen lässt. Der Altphilologe sieht semitische Lettern, die man entziffern kann. Daneben identifiziert er Hattis Hieroglyphen, die allerdings in jenen Fünfzigerjahren bis auf wenige Symbole noch eine Schrift mit sieben Siegeln sind.
Die Sprache
ist durch Funde in der Hauptstatt Hattusa seit den Zwanzigerjahren entschlüsselt, weil die Hethiter ihre Alltagsangelegenheiten auf Tontafeln in assyrisch-babylonischer Keilschrift festhielten – das entlarvte Hattis Sprache als indorgermanisches Idiom. Große Worte jedoch fassten die bronzezeitlichen Großmachtherrscher in eine eigene Bilderschrift, wohl ureigenste geheime Zeichen aus dunkler Vergangenheit der Hethiterkultur. Hier Basalte mit Hieroglyphen, da Blöcke mit bekannten Buchstaben – sollte das Bosserts Stein von Rosette werden? Dieser mehrsprachig abgefasste Gedenkobelisk vom Nil war eine Art Prä-Wörterbuch, mit dem um 1820 die ägyptischen Hieroglyphen über den griechischen Ko-Text entziffert werden konnten. Alle Sprachforscher träumen von einer solchen „Bilingue“ – und so hat Bossert nur Augen für die Schrift auf den Reliefs. Halet Cambel schaut den Hethitern lieber in die Augen, die steinernen Gesichter sind aussagekräftiger – der ägyptische Einfluss zum Beispiel unübersehbar. Beide Entdecker sind sich einig: Karatepe ist eine Grabung wert.
Ein knappes Jahr später haben sie die Mittel und Mitarbeiter zusammen und erschliessen
bis 1950 die Tore von Hattis letzter Bastion. An der Nordpforte dräut ein Sphinxpaar zur Begrüßung, dahinter ein Löwenduo. Die Wände des Burgflurs sind mit zahlreichen Tierreliefs geschmückt – ein wahrer Zwinger. Die beiden Forscher entdecken weitere Inschriften an den Wänden und auf den Tierleibern – rechts die unlesbaren Hieroglyphen, links die phönizische Darstellung.
Den Einlass im Süden hüten ebenfalls die Könige der Tiere, dahinter empfangen – in Stein gebannte – Musikanten und Zecher die eintretenden Gäste. Das innere Burgareal – 195 mal 375 Meter – überblickte damals ein Riese, der jetzt baumlang im Gang auf der Erde liegt. Dass dies der allmächtige Wettergott ist, macht der frühere Schlossherr selbst publik: Der Hethiter stellt sich und sein Werk in der phönizischen
Sprache mti semitischen Lettern vor: „In bin Azatiwatas“, grüßt er aus der Vorzeit. „Ich baute diese Festung und gab ihr den Namen Azatiwataya. Und setzte darin den Wettergott ein.“ Der Erbauer der Grenzfestung half den Archäologen beim Datieren: Er artikulierte sich in Altphönizisch, das so unverfälscht nur im 8. Jahrhundert v. Chr. in Gebrauch war.
„Da blieb uns die Sprache weg“, spaßt Halet Cambel in der Rückschau. „Bis zu unserem Fund in Karatepe herrschte ja die Lehrmeinung, das Reich Hatti sei um 1200 v. Chr. gänzlich von der Bildfläche verschwunden. All die Jahrhunderte und tief in der Provinz aber hat sich seine Kultur erhalten, und die hier am Schwarzen Berg ist keineswegs provinziell!“
Weit weg von Azatiwatas' Zuflucht im Süden war dessen Ahnen einst daheim. Die ursprüngliche Heimat der Hethiter vermutet die Wissenschaft am Schwarzen Meer. Im 17. Jahrhundert v. Chr. hatte es die Völkerwanderer nach Kleinasien verschlagen, wo sie sich schnell mit ihren alten Vorstellungen und Hieroglyphen etablierten, um dann kräftig zu expandieren. Die Senkrechtstarter der Bronzezeit eignen sich bei ihren Zügen durch die vorderasiatische Region Religionen und Götter der eroberten Gebiete oder benachbarter Staaten an. So usurpieren sie mit Babylon 1531 v. Chr. auch Baal; aus Ägypten stammt der der Fruchtbarkeitsgott Bes.
Mit der Großmacht am Nil misst sich Hatti 1275 v. Chr.: In der Schlacht von Kadesch
überrollen brandneue Kampfwagen made in Hattusa die Truppen Ramses II., was aber der Pharao zwischen den Zeilen seiner Hieroglyphen versteckt. Neben dem Nilland ist Hatti zu jener Zeit die Supermacht der Alten Welt, bis innere Zerwürfnisse und der Sturm der so genannten Seevölker um 1200 v. Chr. auch das Reich der Hethiter zu Fall bringen. Mit Hattusa versinkt die Hochkultur in Schutt und Asche – außer in ihren letzten Bastionen in den versteckten Winkeln Anatoliens.
Zum Beispiel in Karatepe, wo rund 400 Jahre später Hethiter-König Azatiwatas in den Wandinschriften mit seinem Reich „vom Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang“ pahlt. Die Ausdehnung seines Staatsgebiets ist bis heute unbekannt, seine Hauptstadt „Pahri“ noch immer nicht gefunden. Da er nach eigener Einschätzung weise und friedliebend ist, koexistiert Hattis letzter Herrscher mit den Anrainern. Die Phönizier zum Beispiel sieht er vor seiner Festung am Ceyhan auf Tour: Den Fluss hinab flößen sie Zedern zur Mittelmeerküste, über die Karawanenstraße karren sie ihre Waren nach Inneranatolien.
In seiner Muttersprache
und Vorväterschrift ist Azatiwatas in den Fünzigerjahren noch wortlos, weil die Ausgräber die geheime Schrift auf der rechten Wand nicht auf die Reihe bekommen: In den hethitischen Hieroglyphen klaffen große Lücken, 45 Prozent aller Schriftblöcke übersäen als Bruchstücke das Gelände. Wie aber die Teile zusammengehören ist – wie die Schrift – ein Rätsel.
Nach Bosserts abruptem Rückzug aus dem Projekt gebietet
„anerzogenes, eingewurzeltes Verantwortungbewusstsein“ Halet Cambel zu bleiben, obwohl sie unter den Lebens- und Arbeitsbedingungen leidet. Das Dach über dem Kopf besteht aus Segeltuch, zum Einkaufen muss sie stundenlang reiten. Dabei offeriert Kadirlis Bazar nur Gerste und Salz; werden einmal Schaufeln gebraucht, ist eine „Weltreise“ nach Adana vonnöten.
Auf den kontemplativen Besorgungsritten reift bei Halet Cambel der Plan, Azatiwatas Burg vor Ort zu erhalten, die Fundstücke also nicht ins Museum zu verfrachten. Für eine Freilichtmuseum muss aber des Hethiters Haus so repräsentabel werden wie einst. Hilfe findet die Forscherin bei einem Besuch im römischen Instituto Centrale del Restauro. „Schicken Sie mal Ihre Sachen rüber“, meinen gönnerhaft die Restauratoren. In Anbetracht der Trümmer müssen dann allerdings doch die Profis zum Berg kommen. Das wissenschaftliche Geduldspiel beginnt 1951.
Völlig ohne Vorlage wird gepuzzelt, denn die Bilder bauen keine Brücken: Die Künstler schufen in Karatepe manch verquere Kreatur, statt Füßen verpassten sie den Kämpen Hufe oder gar Wagenräder. Die Farbe führt in die Irre, da je nach Lage, Luft oder Erde die Fragmente nachschattierten. Nur an den Basalt kann man sich halten, da all die dunklen Stücke mit Sicherheit von Hieroglyphenfries stammen. (...)
Dr. Waltraud Sperlich
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finden diesen Artikel von Waltraud Sperlich und Ulrich Schendzielorz in voller Länge in der Zeitschrift ‚bild der wissenschaft‘.
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Karatepe | Türkei