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Liman Tepe – Archäologe auf Frühbronzezeitlicher Mauer
Liman Tepe – "Ur-Haus" in Kirklareli
Liman Tepe – Keramik im Hafenschlick
Liman Tepe – Trojas unbekannte Schwester
Archäologen entdecken an der türkischen Küste immer mehr Großsiedlungen der Bronzezeit, die wie das berühmte Troja durch Handwerk und Handel gediehen.

Die Archäologin Sila Votruba bemüht sich ruhig und gleichmäßig zu atmen, wie es ihr die Kollegen von der Universität Haifa beigebracht haben. Zehn Meter unter der Wasseroberfläche schwebend, zeichnet sie mit einem Spezialstift eine kurzen Abschnitt einer bronzezeitlichen Mole auf eine Kunststofffolie. Vor mehr als 4500 Jahren florierte an diesem Ort an der heutigen türkischen Küste der Fernhandel zwischen den bronzezeitlichen Kulturen der Ägäis und denen Anatoliens. Liman Tepe, so der Name des Siedlungshügels im Ortsteil Iskele der Kleinstadt Urla, 40 Kilometer westlich von Izmir, erweist sich immer mehr als Eldorado für Frühgeschichtler.

Plötzlich hält Votruba inne. Steckt dort zwischen den Steinen der Hafenmauer etwa eine Scherbe? Vorsichtig schwimmt sie näher, vertreibt einen Fisch und versucht, das Objekt im trüben Wasser genauer zu betrachten. Stein oder Scherbe? Im letzteren Fall wäre es wunderbar, das Ornament eines Kraken zu entdecken, das eine Stempel ‚made in Mykene‘ gleichkäme. Keramik von der anderen Seite der Ägäis würde der türkischen Archäologin gut ins Konzept passen, denn sie schreibt ihre Doktorarbeit über die Handelbeziehungen zwischen Liman Tepe und dem mykenischen Festland.

Bevor sie sich daranmachen kann, das fragliche Objekt genau zu kartieren und seinen Fundzusammenhang zu dokumentieren, geschweige denn es zu bergen, mahnt der Druckmesser zum Aufstieg, der Luftvorrat wäre andernfalls zu knapp, um noch auf fünf Metern einen Sicherheitsstopp einzulegen.

Die Unterwasserarchäologin ist Mitarbeiterin es Izmir Region Excavations and Research Project (IRERP) der Universität Ankara, das Hayat Erkanal initiiert hat, der in Liman Tepe die Grabungen über wie unter Wasser leitet. Dass Teile der jahrtausendealten Stadt auch im Meer liegen, hatten er und sein Team schnorchelnd ermittelt. Seit neun Jahren unterweisen Spezialisten der Universität Haifa jeden Sommer die Forscher im Gerätetauchen.

Eine Stunde wird Votruba nun geduldig an der Oberfläche warten müssen, bis sie wieder für eine halbe Stunde unter Wasser darf – zunächst muss der ins Blut aufgenommene Stickstoff abgeatmet werden. Sie pellt sich aus ihrem Neoprenanzug, unwillig ob der Zwangspause. „Das Graben unter Wasser verlangt Archäologen noch mehr Geduld ab als üblich. An Land könnte ich zur Not auch in der Nacht im Licht einer Taschenlampe weiterarbeiten, bis ich ein Artefakt geborgen habe."

Die Verstimmung lässt sich gut verstehen: Adrenalin im Blut gehört in ihrer Berufsgruppe nicht zum Alltag. Archäologen arbeiten sich Millimeter für Millimeter durch die Hinterlassenschaften der Vergangenheit, messen und zeichnen, bergen und dokumentieren, ob zu Lande oder unter Wasser. Doch Liman Tepe ist etwas Besonderes: Die Siedlung an der türkischen Küste hatte kein Forscher auf der Rechnung. Inzwischen ist klar, dass diese befestigte Anlage im 3. Jahrtausend v. Chr. mit dem berühmten Troja zu einem die Ägäis und Anatolien verbindenden Handelsnetz gehörte.

Eine „Stadt voller prangender Häuser" mit „wohl bebauten Gassen"; „eine gewaltige Feste" mit „türmenden Mauern" und „gottgebauten Türmen", so beschrieb Homer das Troja der Überlieferungen. Und so hätte der erste Dichter Europas wohl auch Liman Tepe beschreiben können. Ganz in der Nähe geboren – sei es nun Smyrna, Kolophon dier auf der Insel Chios, wie Experten diskutieren –, war es ihm vielleicht sogar vertraut. Im 8. Jahrhundert v. Chr. waren die Wehrtürme des Orts wohl schon halb von Erde bedeckt, boten aber immer noch so viel Schutz, dass griechische Einwanderer sie als Stützmauern für ihre einfachen Katen nutzten. Klazomenai nannten die Kolonisten ihren Weiler, der 300 Jahre später zu den reichsten Städten Ioniens gehören sollte, des von ionischen Stämmen besiedelten Küstengebiets Kleinasiens. Weitere 800 Jahre später waren die bronzezeitlichen Bastionen ganz verschwunden und mit ihnen auch die Erinnerung an die ältere Siedlung. Der griechische Schriftsteller und Georgraf Pausanias (um 115 –180 n. Chr.) notierte: „Die Stadt der Klazomenier war, bevor die Ionier nach Asien kamen, nicht bewohnt".

In Wahrheit gehörte Liman Tepe wohl zu dne ersten dauerhaften Siedlungen Kleinasiens überhaupt. Die neolithische Revolution, die aus Wildbeutern Bauern machte, hatte die Westküste vor 6500 Jahren erreicht. Im Chalkolithikum, dem von der ersten Kupfernutzung geprägten Abschnitt der ausklingenden Steinzeit, entstanden erste Dörfer an saisonal genutzten Lagerplätzen, so auch in Liman Tepe. Wie der Prototyp eines Hauses dort aussah, wissen die Forscher ziemlich gut: Es war von der Form her ein Zelt, dessen Schrägen aus Ästen bestanden, die man mit Reisig verflocht; Lagen von Lehm dichteten die Konstruktion ab.

Die griechische Archäologin Ourania Kouka, Expertin für frühe Kulturen in der Ägäis, kam 1997 in Erkanals Team. Wissenschaftlich funktioniert bestens, was politisch nicht immer klappt – eine türkisch-griechische Kooperation. Dabei bestätigt die gemeinsame Arbeit, was für Troja schon als gesichert gilt und nun offenbar für den Westen Kleinasiens verallgemeinert werden kann: Über weite Zeiträume hinweg fungierte er als Kontaktfläche, dort verschmolzen die Kulturen des Ägäisraums mit denen des angrenzenden Anatolien.

Vom Luxus der Frühen Bronzezeit – man denke nur an den von Heinrich Schliemann in Troja ausgegrabenen und nach Deutschland geschmuggelten „Schatz des Priamos" – war man in der Kupfersteinzeit noch weit entfernt. Das kostbarste Gut waren die Vorräte, dementsprechend wohnte man selbst in Leichtbauweise, während massive Stampflehmtechnik das Getreide gegen Nagetiere schützte: Zwischen zwei Schalbretter stampften die Bauern stark tonhaltige Erde ein, die nach dem Trocknen eine feste Mauer ergab. Auch, was bei den Dorfbewohnern auf den Tisch respektive den gestampften Lehmboden kam, haben die Forscher ermittelt: In den Silos fanden sie verkohlte Körner von Gerste, Einkorn und Emmer, den Wildformen des Weizens. Vermutlich wurden die Getreide geschrotet, zu Brei verkocht und auf heißen Steinen zu Fladenbrot gebacken; Linsen bereicherten den spätsteinzeitlichen Speiseplan. Aus den Nahrungsresten lesen Forscher aber noch mehr: „Um ein Haus standen offenbar Speicher für Getreide, um ein anderes waren solche für Linsen gruppiert. Für uns ist das ein deutliches Indiz, dass diese Siedlung bereits genossenschaftlich organisiert war", erklärt Kouka.

Vorräte mussten in Gefäßen aufbewahrt werden, deshalb benötigten die Bauern Werkzeuge – in Liman Tepe wurde gehämmert, gesägt, geschnitzt und getöpfert. Neben jeder Bettstatt befand sich eine Werkstatt. Klingen und Pfeilspitzen schlug man gern aus Obsidian heraus, einem Vulkangestein, das hart wie Glas ist und scharfe Kanten ergibt. Analysen haben gezeigt, dass der an diesem Ort gefundene Obsidian von Milos stammt, einer Insel der Kykladen. Mit anderen Worten: Schon das kupfersteinzeitliche Liman Tepe war in ein ägäisweites Handelsnetz eingebunden.

Adrenalin aber vermittelte den Prähistorikern ein anderer Werkstoff, den sie 1994 im Abfall eines der zeltförmigen Bauernhäuser entdeckten: Schlackenreste beweisen, dass dort vor 5500 Jahren Kupfer nicht nur in gediegender Form verwendet, sondern auch aus Erzen ausgeschmolzen und verarbeitet wurde. Liman Tepes Schmiede waren die ersten in Kleinasien. Weil Kupfer zu weich für Waffen war, diente es hauptsächlich für Luxusgegenstände wie Prunkgefäße und Schmuck. In der Schmiede wurde es Formen gegossen, durch rasche Abkühlung gehärtet und dann mit Meißel und Hämmern aus Stein fein bearbeitet.

(...)

Sila Votruba ist nach ihrer Pause an Land sofort wieder in den Anzug geschüpft und hat im nächsten Tauchgang tatsächlich eine Scherbe aus der antiken Hafenmauer geborgen. Gemeinsam mit Ourania Kouka und Hayat Erkanal betrachtet sie später die vom Schlick und Bewuchs gereinigte Keramik. Wie erhofft zeigt das Dekor Meeresmotive wie Wellen und Tintenfische. Made in Mykene. Die Griechin und ihre türkischen Kollegen schmunzeln: ein weiterer Beweis für die Verbundenheit der Kulturen in der Ägäis. Damals.

Dr. Waltraud Sperlich



Sie finden diesen Artikel von Waltraud Sperlich und Ulrich Schendzielorz in voller Länge in der Zeitschrift ‚Spektrum der Wissenschaft‘ und – in einer früheren Version – in ‚bild der wissenschaft‘.

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Liman Tepe | Türkei
Liman Tepe – Handelsware aus Bronze
Liman Tepe – Hafenmole
Liman Tepe – Überreste eines Hauses