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Messene – Hermeskopf
Messene – Ein Grab wird freigelegt
Messene – Glasflakons
Goldgrube Messene
Die antike Luxusstadt auf dem Peloponnes wird immer größer. Archäologen im Glück: Nach phantastisch erhaltener Architektur kommen jetzt Gräber und feinste Grabbeigaben zum Vorschein – Goldschmuck und hauchdünne Keramik. Zahlreiche Details geben der künstlichen Stadt aus dem 4. Jahrhundert nach Christus allmählich Kontur.

Hochwürden hat eine Hang zur unchristlichen Vergangenheit. Der Oberpope des Klosters am Berg Ithome pilgert seit neun Jahren alle Sommertage hinab ins Tal, um die Wiederauferstehung Messenes zu schauen. Seit 1989 die Archäologen im Süden des Peloponnes erschienen, geschehen hier wahre Wunder: Aus dem von Feigen- und Olivenbäumen überwachsenen Schwemmland taucht eine perfekte antike Stadt auf.

Der Pope benutzt für seine wissenschaftliche Wallfahrt die antike Hauptstraße – die Ausgräber haben sie gerade erschlossen. Wegen des großplattigen ebenen Marmorpflaster muss der Passant kaum auf seine Schritte achten und kann wie Pausanias die Blicke schweifen lassen. Dieser Ur-Baedeker – und heute Führer klassischer Archäologen – betrieb im 2. Jahrhundert n. Chr. in Griechenland Inventur der Antike und beschrieb auch Messene eingehend.

Auf der rechten Seite bekommt das Theater Kontur, weil die Archäologen mit der modernen Zeit gehen und das Schwemmland mit Bulldozern abräumen. Das Brunnenhaus zur Linken ließ schon Pausanias vor Staunen stoppen. Dank der Arbeit von Florens Felten und seiner Mannschaft von der Salzburger Universität erschließt sich auch ohne blühende Phantasie die Pracht von damals. Die edle Quaderwand gen Hang mit Nischen und Bögen, die Berieselungsrinnen und Becken sind Leitlinien fürs geistige Auge. Leicht lassen sich die Nymphen aus Stein dazudenken, die einst mit Planschenden aus Fleisch und Blut die urbane Oase bevölkerten.

Zur Vorgeschichte der Stadt gehören drei Niederlagen gegen Sparta, was die Messenier erst in die Sklaverei und anschließend in die Emigration nach Sizilien, Libyen, Kleinasien und Ägypten führte. Als der Soldatenstaat vom Böotischen Bund 370 v. Chr. endlich besiegt war, kehrten die Versprengten in die fruchtbare Ebene unterhalb des Ithome, Zweitsitz des Obergottes Zeus, zurück und bauten ihre auf dem Reißbrett geplante Musterstadt. Messene wird sie nach der mythischen Stammesmutter benannt.

Über den Status eines Stadtstaats kam Messene allerdings nie hinaus, sie blieb immer Spielball im Interessengeflecht der Mächtigeren: Athen, Makedonien, Rom. 395 n. Chr. zerstörten die Goten die Stadt, die Bewohner verließen sie. Steinraubende Nachbarn gab es nicht, ein Flüsschen schwemmte Messene zu, die Stadt wurde vergessen.

Zum Glück hatte sie Pausanias zuvor katalogisiert: Nahe dem Nymphäum tauchte der Reiseschriftsteller nach seiner Beschreibung in das quirlige Marktviertel ein – und weil ihm die modernen Ausgräber alles abkaufen, musste der darüberwuchende Feigenurwald dran glauben. Doch noch liegt die Agora verborgen unter dem Brachland und so rafft der Pope seinen schwarzen Rock und durcheilt die Schneise zum Heiligtum des Asklepios. Der Gott der Heilkunde war Schutzpatron der Messenier, ihm weihten sie den Stadttempel. Die zentrale Kultstätte diente jedoch nicht ihm allein, Äskulap zur Seite standen Artemis und ihre Amtsschwestern, in Herrgöttinnenwinkeln des Altarhofs.

Der Gottesmann schneidet den heiligen Bereich und strebt den Sportstätten zu. Wo sich vor vier Jahren noch Stamm an Stamm Olivenbäume wanden, recken sich jetzt die Säulen des Gymnasions reihenweise, auf beiden Seiten der marmorbestuhlten Arena.

In einer Wand der antiken Turnhalle war dem Grabungsleiter Petros Themelis eine stümperhaft zugemauerte Tür aufgefallen. Als man das grobe Füllwerk herausgestemmt hatte, stach ein riesiger kleiner Finger ins Auge. Gut doppelt so groß wie der eines Menschen, deutete er auf einen Giganten hin, den die Archäologen Bruchstück für Bruchstück aus der Steinkippe klaubten: Ein total zerschlagener Herakles – der Abgott aller Muskelmänner. Er war Patron in jedem antiken Fitness-Center und der Kniefall vor dieser Statue Pflichtübung für die Athleten. Doch Zeiten und Gott änderten sich, die ersten Christen in Messene entsorgten für ihren prüden Glauben schleunigst das Bild von einem Mann: „Also schlugen sie die Skulptur kurz und klein und mauerten den Schotter ein“, so die These von Themelis. Die Kinder der Nächstenliebe zerstörten zwei weitere Statuen, deren Sockel die Archäologen auf der Ostseite des Stadions freiglegten. Gemessen an den kolossalen Basen, ist ein großer Verlust zu beklagen. Der Herakles ist mit mühevoller Puzzelei zu retten, doch von den anderen Standbildern fehlt jedes Steinstückchen. Petros Themelis winkt aufgeregt seinen geistlichen Freund an die westliche Seite der antiken Arena. Unweit der Herakles-Gruft hat er ein Grab gefunden, und dem schönen Anschein nach ein richtig antikes. Das ist ungewöhnlich, denn in einer griechischen Polis pflegte man die Toten vor dem Stadttor zu bestatten und nicht vor der Haustür.

Der Grabungsleiter beugt sich über die Grube im Gymnasion, überhüstelt einen Fluch und konstatiert: „Da sind uns Grabräuber zuvorgekommen.“ Da Diebe naturgemäß in Eile sind, lässt Themelis stundenlang weiterpinseln. Seine Beharrlichkeit wird belohnt. Die Vorgräber haben einige Grabbeigaben übersehen: Feinste Vasen, hauchdünn gedreht von Meistern an der Töpferscheibe. (...)

Dr. Waltraud Sperlich



Sie finden diesen Artikel von Waltraud Sperlich und Ulrich Schendzielorz in voller Länge in der Zeitschrift ‚bild der wissenschaft‘. In der Reihe ‚reisen und wissen‘ des Lyso-Verlags erschien außerdem der Titel ‚Messene – die erträumte Metropole‘. Mehr dazu unter www.lyso.gr/html/buecher.htm.

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