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Chilas – Altarfels
Chilas – Dämon, Okunev-Kultur
Chilas – Stupa und Buddha
Die Bilderrästel des Himalaya
Felszeichnungen aus fünf Jahrtausenden im Industal. In der Sonnenglut des Karakorum haben Wanderer, Händler und Pilger auf den schwarzgebrannten Felsen eine grandiose Open-Air-Galerie geschaffen. 30 000 Graffiti von der Steinzeit bis zum Islam locken die Archäologen.

Die Sonne lauert hinter dem Nanga Parbat. Morgendämmerung im tiefen Tal des Indus, das im Sommer noch nach der Nacht eine Backröhre ist. Bevor der Muezzin des Marktfleckens Chilas die erste Andacht einklagt, werden in einem Haus am Rand des Bazars deutsche Stoßgebete laut. Prof. Harald Hauptmann und seine Helfer flehen um eine funktionierende Dusche, weil bei vierzig Grad im Mondschein an Schlaf kaum zu denken war und allein Wasser ein wenig erfrischt.

Die Archäologen haben es auszubaden, dass Kultur in Breiten mit Bruthitze meist am besten gedieh – so wie Südosten Anatoliens, wo sich für den Ausgräber aus Heidelberg die Arbeit unter sengender Sonne schon einmal lohnte. Bei Nevali Cori hatte Hauptmann den ältesten bislang bekannten Kultbau entdeckt – von Jungsteinzeitlern mit Sinn für Höheres im 9. Jahrtausend von Christus aus der Steinwüste gestampft.

Im kargen Quartier prustet die Brause mal wieder nur, und die Wissenschaftler suchen ihr Heil im Tee aus dem nahen China. Dann geht des hinunter an den Indus. Nachhut ist Akhtar der Wächter, das Gewehr auf der Schulter. Denn die Lage ist brenzlig im schmalen Korridor zwischen Kaschmir und Afghanistan, und das nicht nur wegen der internationalen Krisenherde nebenan: Gleich drei Richtungen des Islam sind in den Bergen Pakistans vertreten – die Ismaeliten, die Sunniten und die Schiiten; letztere tragen ihre Religionsdifferenzen bisweilen mit der Waffe aus: doppelt heißer Boden für die „ungläubigen“ Archäologen.

Unten am Indus hat's Wasser nicht zu knapp, was aber dem Schweißbad kein Ende bereitet. In die reißende Soße wagt sich kaum einer. Felspulver, das die Gletscher aus dem Untergrund gemahlen haben und die sommerliche Schmelze mitschwemmt, dickt den Sturzstrom breiig ein. Obwohl vom ewigen Eis gespeist, hat der Fluss die Hitze über Chilas gebracht: Als er sich von Jahrmillionen seine Bahn durchs Karakorum fräste, versperrte ihm der Nanga Parbat die Diretissima nach Süden. Vor dem Achttausender lenkte er seinen Lauf deshalb gen Westen und lieferte das Tal so auf hundert Kilometer total der Sonne aus.

Der Himalaya wird zum Hochofen, weil die Steilhänge keine Schatten schaffen und Wolken nur zur Monsunzeit aufziehen. Die andauernde Glut dörrte die Senke zur Sandlandschaft und buk den Granit dunkelbraun. Bei Tagestemperaturen von 54 Grad Celsius brennt sich der manganhaltige Staub ins Gestein ein und überzieht die Felsbrocken und -wände dick mit „Wüstenlack“.

Als Asiens Völker von etwa 10 000 Jahren zu wandern begannen, trafen sie auf die Bresche, die der Indus in die mächtigste Gebirgsbarriere der Welt geschmirgelt hatte. Hitze hin oder her – die Krustensteine reitzen bereits die vorzeitlichen Bergsteiger zu künstlerischem Schaffen. Später nahmen Händler die Kletterstrecke – mit Höhenunterschieden von 4500 Metern – in Kauf, weil es die kürzeste Verbindung zwischen Innerasien und dem indischen Subkontinent war. Pilgern kam der selbstauferlegte Leidensweg zupass , führte er doch direkt zur Seligkeit. Ob mit Waren beladen oder vom Glauben beflügelt – auf der heißesten Etappe legte man nach vor schöpferische Pausen ein, was nun Archäologen zum Bleiben verleitet.

Die wickeln ihre Kopftücher fester und warten geduldig auf die ersten Sonnenstrahlen, denn im milden Licht des Morgens wird das verbrannte Land zur Augenweide: Das ganze Tal glänzt als Open-Air-Galerie ohnegleichen. Die Felswände quellen über von Bildern, mit steinerem Gerät oder Metallwerkzeug in die Patina des Granits getrieben. An die 30 000 Zeichnungen wurden bisher am Indus gesichtet – die größte Gemäldesammlung dieser Art.

„Fülle udn Güte der Petroglyphen sind einzigartig“, staunt Harald Hauptmann. Meilen mit Malereien laufen er und seine Assistenten ab, nehmen halsbrecherisch jede Gravur unter die Lupe und zerbrechen sich den Kopf ob des Sujets. Welches Tier stand Modell? Was hatte ein frommer Kunstschaffender vor seinem geistigen Auge? Neben der Bestandsaufnahme will der Leiter der Expedition mit der Fleiß- und Schweißarbeit noch weiteres leisten: „Der Ort ist bestens geeignet, die Felsbildforschung aus ihrem Schattendasein zu holen“, sagt er mit einem Zwinkern hinter der Sonnenbrille. „Im Kollegenkreis werden frühe Graffiti meist als zufällige Kritzeleien abgetan. Da sich am Indus aber im Lauf der Jahrtausende Zeichnung an Zeichnung reihte, erkennt man hier ganz klar historische und religiöse Entwicklungen“ – Geschichte in Bildern.

Tiefdunkle Hände auf den Felsen weisen in die fernste Vergangenheit. Von der Natur mit Firnis überzogen, zeigt der satte Lack der Ritzkerben das hohe Alter der Erstlinge an. Im fünften Jahrtausend vor Christus – wenn nach den Funden der letztjährigen Expedition nicht sogar schon früher – fing man so zu malen an, wie jedes Kind beginnt: Die Umrisse der Finger wurden nachgezogen. Mit den Füßen verfuhren die Jäger und Sammler ebenso und ritzten die Konturen mit spitzen Steinen in die Rinde des Granits. Daneben bannten sie – wie auch andernorts üblich – ihre Beutetiere auf den Fels: Trotz der starken Stilisierung kann man die einheimischen Bergziegen und Wildschafe erkennen.

Die Riesen indes geben Rätsel auf. Ebenfalls aus den frühen Jahren der Wanderkultur, stehen sie mit gespreizten Beinen weitab allein und ohne Zusammenhang mit den Strichtieren. Als „höhere Wesen“ interpretiert sie der Forscher – und das sind sie mit ihrer Größe von zweieinhalb Metern schon rein äußerlich. Nie wurde ihr Nimbus angekratzt, denn um sie herum verkniff sich jeder spätere Graveur das sonst übliche Beiwerk. Diese Giganten auf Granit würden Däniken wunderbar ins Konzept passen. Tragen sie doch die Helme, aus denen – fragte man dazu den Fantasy-Geschichtler – deutlich Antennen ragen. Die Astronauten-abholden Archäologen sehen da eher einen Haar- oder Strahlenkranz, aber bizarr ist der Kopfputz allemal. Hintersinn und Schöpfer der bislang dreißig Riesen bleiben im dunkeln.

Ein Volk hingegen gibt sich zu erkennen, weil es im Karakorum genauso zeichnete wie daheim. Rinderzüchter aus Südsibirien hatte es an der Wende zum zweiten Jahrtausend vor Christus ins ferne Gebirge verschlagen, und dort porträtierten sie eifrig weiter in der Manier der Okunev-Kultur: Gesichter, die – wild gestreift – Masken gleichen, naturalistische Kühe als Sinnbild der Lebensgrundlage.

Händel auf der Handelsstraße? Im ersten Jahrtausend vor Christus marschieren am Indus Krieger auf – zumindest auf den Uferfelsen. Der Waffenrock weist sie als Westperser aus, im Bild schlachten sie nur eine Ziege. Als Opfertier darf das einheimische Wild noch mit aufs Bild, ansonsten greifen Durchreisende mit Schaffensdrang nun verstärkt Motive aus ihrer Heimat auf. Löwen und Elefanten stellen sich bei den präshistorischen Herden ein; sie waren kaum real in der heißen Höhe anzutreffen.

Hirsche, auch nur im Geiste hier, verraten durch ihre Posen, wessen Tier sie sind: Gehen sie in die Knie, stammten ihre Gestalter gewiss aus dem Iran, da dort der graziöse Knicks als Stilregel galt. Stehen Böcke auf ihren Hufspitzen, waren die Schöpfer sicher Skythen, die sie daheim im Altai gleichermaßen tanzen ließen. Alle noch ornamental verfremdet, sind sie die geborenen Wappen. „Die Tierdarstellungen dieser Epoche deuten wir als heraldische Symbole, mit denen sich die ziehenden Stämme und Sippen auswiesen“, wertet Prof. Hauptmann die Exoten im Himalaya.

Um die Zeitenwende werden die ersten Worte gestochen, und nun hat man mit der Sprache die Nationalität der Passanten weiß auf schwarz. Frühes Indisch wird zu Granit gebracht und auch das ostpersische Sogdisch füllt so manche Felswand. Vereinzelt schrieben sich Chinesen und Hebräer ein, doch vermissen die Forscher bislang ein Zeichen der Griechen. Dabei tauchten die ebenfalls in der Gegend auf, denn 326 vor Christus hatte Alexander der Große mit der Handelsstadt Taxila das zur Tor zur Karakorum-Traverse erobert. Die Berge jedoch scheinen sie gemieden zu haben, so als wollten sie nicht auch noch mit der Hitze kämpfen.

In der Gegenwart tun das die Archäologen und trinken heftig gegen sie an. Mit der Sonne steigt der Wasserverbrauch, bei über fünfzig Grad Lufttemperatur sind sechs Liter pro Person lebensnotwendig.

Ein sauberer Indus machte wohl einst den Wasserproviant überflüssig, dennoch kann Harald Hauptmann sich auf der Südabzweigung der Seidenstraße kaum Karawanen vorstellen: „Als Handelsweg war die Strecke durch den Karakorum sicher von geringer Bedeutung, sie war viel zu strapaziös.“ Packesel müsste der Mensch selbst gewesen sein, weil für Lasttiere die bis zu 5000 Meter hohen Pässe nach Innerasien ein unüberwindbares Hindernis waren.

Statt Waren wurden auf dem steilen Steig eher Gedankengüter weitergetragen. Im östlichen Himalaya kam 563 vor Christus Buddha zur Welt, dessen Lehre im dritten Jahrhundert vor Christus indische Staatsreligion wurde. Seinen Missionaren war kein Weg zu beschwerlich, und so wirkten sie schon in der nordwestlichen Ecke des Subkontinents, als ein anderer Glaubensgründer noch in der Krippe liegt. Im ersten Jahrhundert wird die Region Gandhara am Fuß der pakistanischen Berge zum Zentrum der buddhistischen Bewegung und Kunst, die hier indische, persische und helllenistische Stilelemente aufs Schönste vereint. (...)

Dr. Waltraud Sperlich



Sie finden diesen Artikel von Waltraud Sperlich und Ulrich Schendzielorz in voller Länge in der Zeitschrift ‚bild der wissenschaft‘.

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