Die Avantgarde-Maschine
Kunst und Naturwissenschaft begegnen sich im Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) auf einer einzigartigen Spielwiese.
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Auf dem Monitor vor der Besuchertoilette in der Eingangshalle des ZKM wechselt das unkommentierte Schwarzweißbild in schöner Regelmäßigkeit zwischen Waschraum, Urinal und Einzelkabine. Wer die schamlose Verletzung der Privatsphäre ignoriert und sich unverzagt ins Innere wagt, wird mit Erleichterung in doppelter Hinsicht belohnt:
Im Raum verteilt sind zentimeterkleine Nachbauten besagter Örtchen, über denen jeweils eine Überwachungskamera montiert ist.
Jonas Dahlbergs "Safe Zones, No. 7" knüpft ohne Umweg an Alltagserfahrungen an und enttäuscht die Erwartungen das ZKM sei Endlager etwiger Werte. Das Zentrum weckt die Kunst aus ihrem Dornröschenschlaf, setzt sie unter Strom und mitten in die von Computertechnik und medialer Vernetzung bestimmte Lebenswelt. Medienkunst heißt das Experimentierfeld der Avantgarde, auf dem Naturwissenschaft und Kunst voneinander profitieren wollen.
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Mitte der Achtzigerjahre des 20. Jahrhunderts, als Begriffe wie Multimedia, Interaktivität und Vernetzung noch Expertenvokabular waren, hatte der damalige Ministerpräsident Lothar Späth die Idee, im Hightech-Land Baden-Württemberg ein Basislager für Highculture einzurichten. Eine Kommission aus Landes- und Kommunalpolitikern der Stadt Karlsruhe, Vertretern der Kunstakademie, der Universität und des ehemaligen Kernforschungszentrums Karlsruhe fragte sich, wie eine Institution aussehen könnte, die an vorderster Front Einflüsse digitaler Technologien auf unseren Alltag und die Kunst untersucht. Besonders das 1980 im amerikanischen Cambridge von Nicolas Negroponte und Jerome Wiesner gegründete Media Lab des MIT (Massachussetts Institute of Technology) hatte es den Planern angetan. Lag dort der Schwerpunkt der Aktivitäten auf physikalischer und gehirnpysiologischer Grundlagenforschung, so sollte das badische Pendant ein paar Nummern kleiner und stärker auf künstlerisch vermittelbare Ergebnisse ausgerichtet sein. 1989 wurde der Kunsthistoriker und Kulturmanager Heinrich Klotz als Gründungsrektor eingesetzt.
Die Fördertöpfe des Landes waren mit 120 Millionen DM zwar voll, für den erhofften Neubau eines prestigeträchtigen Glaswürfels von 60 Meter Kantenlänge nach den Entwürfen des holländischen Architekten Rem Kohlhaas aber nicht voll genug. Der Würfel fiel zugunsten der einstigen Munitionsfabrik der Industriewerke Karlsruhe-Augsburg im Südwesten der Stadt. Die denkmalgeschützte und vom Verfall bedrohte Hallenanlage wurde mit Augenmaß für die neue Nutzung instand gesetzt und bietet dem ZKM sein 1997 mit einer grundfläche von zwei Fußballfeldern großzügige Arbeits- und Ausstellungsmöglichkeiten. An den ursprünglichen geplanten Kubus erinnert eine auf die Höhe der Fabrikhalle geschrumpfte Version, die ein Musikstudio beherbergt und den Haupteingang des ZKM weithin sichtbar kennzeichnet.
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Teil des ZKM ist seit drei Jahren das Museum für Neue Kunst (MNK), das der Tübinger Austellungsmagier Götz Adriani leitet. Das hochklassige Sammlermuseum zeigt neben moderner Malerei auch die Übergänge von herkömmlicher Videokunst zur digitalen Installation. Das MNK bleibt dem Objektcharakter des Werks verpflichtet, während sich im Medienmuseum des ZKM die Kunst auf das dünne Eis digitaler Informationsgestaltung wagt. Das Spiel der Besucher mit den Projektionen und virtuellen Wirklichkeiten bestimmt deren veränderliche sicht- und hörbare Formen. In der Installation ‚The Interactive Plant Growing‘ von Christa Sommerer und Laurent Mignonneau steuert die Intensität, mit der die lebenden Pflanzen berührt werden, das virtuelle Pflanzenwachstum – sichbar auf einer Projektionsfläche. Und ein Mausklick auf den Lichtschalter im virtuellen Buch von Masaki Fujihata (‚Beyond Pages‘) schaltet die Lampe im Raum ein. Das museumsübliche ‚Bitte nicht berühren‘ wäre der Tod der Medienkunst.
„Das ZKM ist ein museologisches Leitmodell. Wir sind die einzige unabhängige Einrichtung, in der Gastkünstler und Gastwissenschaftler vor Ort produzieren und ihre Arbeit der Öffentlichkeit vorstellen“, sagt der Direktor der Zentrums, Peter Weibel, und verweist auf die neue Aufgabe des Museums als Produktionsstätte für digitale Kunstformen. Medienkunst schert sich nicht um Gattungsgrenzen. Medienkunst entsteht im Team. Medienkunst ist teuer, wegen ihrer hohen Anforderungen an Hard- und Software. Deshalb bietet das ZKM Gastkünstlern aus der ganzen Welt die Chance, die technische, wissenschaftliche und soziale Infrastruktur des Hauses für jeweils ein halbes Jahr zu nutzen. Als Gegenleistung überlassen die Urheber ihre fertig gestellten Arbeiten zeitweise dem Medienmuseum zur Ausstellung beziehungweise zur Aufführung.
Möglich machen ein solches Gastkünstlerprogramm erst die Kompentzzentren, die im Hintergrund des Medienmusuems wirken: Das Institut für Musik und Akustik, das Institut für Netzentwicklungen, das Institut für Bildmedien, das Institut für Grundlagenforschung, das die Forschungsfelder komplexe dynamische Systeme (Chaos), Wahrnehmung und Interface-Technologien beackert und die Mediathek. Sie steht im Gegensatz zu den Instituten auch den Besuchern offen und hält aktuelle und umfassende Musik-, Video- und Literatursammlungen zu Kunst und Medien zur Nutzung vor Ort bereit.
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Peter Weibel, 58, leitet seit 1999 das ZKM. Er sprüht vor Energie, wenn es um die Verbindung von Kunst und Wissenschaft geht. Der Mathematiker und Medientheoretiker, Künstler und Kurator hat das Institut für Grundlagenforschung eingerichtet, weil „Künstler der Medien-Avantgarde nicht nur Gattungsgrenzen überwinden, sondern sich auch im Grenzbereich zur Naturwissenschaft bewegen.“ Dass es Berührungspunkte von Kunst und Wissenschaft gibt ist nicht neu: Beisielsweise waren die Maler der Renaissance, die die Perspektive des Raums naturgetreu wiedergeben wollten, auf die Erkenntnisse von Mathematik, Architektur und Optik angewiesen. „Wer heute die Möglichkeiten der vielseitigsten Maschine, des Computers, ausloten will, der muss ihn verstehen.“ Warum aber Grundlagenforschung an einer künstlerischen Institution?
Grundlagenforschung zielt auf die Erweiterung wissenschaftlicher Kenntnisse, die nicht unbedingt unmittelbar industriell oder kommerziell zu nutzen sind. Das macht Grundlagenforschung offen für künstlerische Anliegen im Bereich der Medientechologien. Nur verhält es sich nicht so, das ein Künstler in das Institut für Grundlagenforschung unterm Dach des ZKM geht und den Wissenschaftlern seine Wünsche mitteilt, etwa nach dem Muster: „Erforscht doch mal, wie das Gehirn des Betrachters auf meine Videoinstallation reagiert, wie man diese Reaktion erfassen und in die Installation einbauen kann.“ Für eine solche unmittelbare Zusammenarbeit an konkreten Fragen sprechen Kunst und Wissenschaft zu unterschiedliche Sprachen. Trotzdem: Die räumliche und institutionelle Einbindung des Grundlageninstituts in das ZKM sorgt dafür, dass sich Berührungsängste zwischen Künstlern und Wissenschaftlern verflüchtigen und das gegenseitige Verständnis allmählich wächst. Die drei Physiker unter der Leitung von Hans H. Diebner betreiben Grundlagenforschung nach eigenen Vorgaben. Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, chaotische Systeme, wie etwa neuronal Netze besser zu durchschauen und Schnittstellen zu entwickeln, die das menschliche Gehirn und künstliche Netzwerke besser miteinander verbinden sollen. Ein Ziel dieser Bemühungen ist es, die Mechanismen der Kreativität besser zu verstehen. Kognitive Systeme zu entwickeln, die selbst zu kreativen Leistungen fähig sein könnten, liegt allerdings noch in sehr weiter Ferne.
Neben Stapeln wissenschaftlicher Publikationen hat das Institut für Grundlagenforschung am ZKM ein Kind namens ‚Performative Wissenschaft‘ in die Welt gesetzt. Das ist die Erweiterung bildgebender Verfahren zur interaktiven Installation. Die ‚Liquid Perceptron‘-Simulation von Hans H. Diebner und Sven Sahle visualisiert ein aktives neuronales Netz, das auf Bewegungen der Betrachter vor einer Videokamera mit der Ausbildung spezifischer Muster reagiert. „Als Künstler würden wir uns deshalb nicht bezeichnen“, stellt Diebner klar. Hilfreicher Nebeneffekt solcher Installationen: Die Forschungsarbeit des ZKM findet eine Weg in die Öffentlichkeit.
Eine Arbeit über Mustererkennung in Echtzeit zeigt, dass sich für die theoretischen Studien der Grundlagenforscher am ZKM auch praktische Anwendungen finden könnten. „Damit ließen sich zum Beispiel Herzschrittmacher oder Roboter ohne kritische Zeitverzögerung steuern“, sagt Diebner. Freiheit allein reicht nach seiner Ansicht nicht aus, um dei Qualität der Forschung am ZKM langfristig zu verbessern. Wie das Wissenschaftsministerium in Stuttgart wünscht sich Diebner klare Strukturen der Kooperation mit der Hochschule für Technik, dem Forschungszentrum Karlsruhe und der Universität. Beispielhafte Kontakte zu Prof. Rüdiger Dillmann am Institut für Robotik und zu Prof. Thomas Beth am Institut für Algorithmen und kognitive Systeme sollen ausgebaut werden. Auch Prof. Deussen, Koordinator in Sachen Zusammenarbeit an der Universität hofft auf intensivere Kontakte. Die Veranstaltung von Vorlesungen zum Studium generale am ZKM sind ein viel versprechender Einstieg.
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Droht der Künstler hinten den Theoriegebäuden der Wissenschaft und den Kabelbäumen der Technik zu verschwinden? Ganz im Gegenteil: „Erst wenn der Künstler sich in die Regionen von Mathematik und Physik begibt, kann er Sichtweisen entwickeln, die aus der Technologiefalle hinausführen“, sagt ZKM-Direktor Weibel über die Rolle der Avantgarde-Künstler. Ihre Aufgabe sei es, der merkantil ausgerichteten Wirklichkeit der großen Konzerne alternative Wirklichkeitsentwürfe entgegenzusetzen und „Türen an der virtuellen Wand zu sehen, wo der Ingenieur keinen Ausweg sieht. Der Künstler hat immer noch den Anspruch, Visionär zu sein.“
Dem sinnlichen Vergnügen an den kunstvollen Visionen des ZKM kann die medientheoretische Aufladung nichts anhaben. Die seit März 2002 im Medienmuseum eingerichtete ‚Web of Life‘-Installation lebt vom Begrüßungshandschlag ihrer Besucher. Das Netz der Handlinien wird über einen Scanner eingelesen und verändert ein virtuelles Gitternetz ebenso wie die stereoskopisch projizierten, ineinander verschlungenen Videobilder auf einer 24 Quadratmeter großen Leinwand und das Klanggewebe von 72 im Raum verteilten Lautsprechern. Der agierende Beobachter wird im eigentlichen Wortsinn Teil des Netzes, das physische Wirklichkeit und virtuelle Welt miteinander verknüpft. Der stetige Fluss von Bildern und Klängen wird auch durch transportable Nebenstellen gespeist, die Handlinien-Scans von Menschen in verschiedenen Erdteilen über das Internet beisteuern. Das von Michael Gleich und vom scheidenden Leiter des Instituts für Bildmedien, Jeffrey Shaw, konziperte ‚Netz des Lebens‘ holt den Zukunftsentwurf – typisch ZKM – eines Teams von Medienkünstlern für die nächsten drei Jahre in die Wirklichkeit des Alltags.
Das ZKM bebt und vibriert und ist nicht darauf versessen, Kunst von technischen Spielereien abzugrenzen. Das Karlsruher Zentrum tummelt sich mit seinen Exponaten in der Gegenwart und hat mit seiner Allianz von Kunst und Wissenschaft das Land der Zukunft fest im Blick.
Ulrich Schendzielorz
Sie finden diesen Artikel in voller Länge in der Zeitschrift ‚bild der wissenschaft plus, Forschung und Entwicklung in Baden-Württemberg‘.
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